Interview
mit dem ehemals medienabhängigen Martin
Interviewer/-in: Birgit Schulte
(B),Franz Eidenbenz
(E)
Betroffener: Martin, 16-jährig
Martin
war wegen seiner Internetabhängigkeit bei der "Offenen
Tür Zürich" (OTZ) in Therapie (www.offenetuer-zh.ch).
Die Beratung erfolgte durch den Psychologen Franz Eidenbenz,
der zusammen mit der Studentin Birgit Schulte auch das
nachfolgende Interview durchführte. Martins Mutter
hatte die OTZ besorgt um Hilfe angerufen, da Martin
die meiste Zeit im Internet verbrachte und seine schulischen
Leistungen nachliessen. Die Sitzungen fanden meist zu
dritt (Mutter, Sohn und Therapeut), manchmal auch nur
zu zweit statt. Die Therapie konnte erfolgreich abgeschlossen
werden. Einige Jugendliche spielen auch nach einer Therapie
weiterhin Computerspiele, aber mit mehr Selbstkontrolle
und in Kombination mit anderen Freizeitaktivitäten.
B.: Wie bist du in die Internetabhängigkeit
geraten?
Ich habe zu Weihnachten Computerspiele geschenkt bekommen,
und dann hat es mich gepackt - ich habe gespielt, gespielt
und gespielt. Nachher bin ich stundenlang im Internet
rumgesurft.
B.:
Wie viel Zeit pro Tag hast du online verbracht?
Ich schätze so ca. sechs Stunden. Nach der Schule
habe ich direkt den PC angeworfen und blieb dort bis
in die Nacht oder den frühen Morgen.
B.:
Hast du selber die Problematik bezüglich deines
Internetkonsums bemerkt?
Ja, ich habe gespürt, dass da etwas nicht mehr
stimmt, aber grundsätzlich war es mir egal. Ich
wollte nicht reduzieren oder aufhören. Ich bekam
in der Schule Probleme, war meist bis 1 oder 2 Uhr nachts
im Internet und habe morgens kaum aufstehen mögen.
Es hat sich bei mir ein Frust aufgebaut in die Schule
zu gehen. Es ist eine Demotiviertheit entstanden. Schule
war nicht das, was ich im Leben wollte. Kaum war ich
daheim, habe ich den PC angeschaltet.
E.:
Heisst das, du konntest im Moment, in dem du den PC
angeschaltet hast die Schule und den Frust vergessen?
Ist das wie weg gewesen?
Ja, eindeutig - der PC ist eine Flucht. Indem ich den
PC angestellt habe, bin ich irgendwo anders hin geflüchtet.
Beim "Gamen" kennt einen niemand.
E.:
Da sein, wo einen niemand kennt und der Alltag einen
nicht einholt und man ganz neu anfangen kann?
Ja, dort wo man alles andere vergessen kann, wo man
seine Aufmerksamkeit und Konzentration nur dem Spiel
widmen kann. Dort ist alles viel einfacher - beim Spielen
wird man relativ schnell gut und immer besser und bekommt
Ansehen von anderen.
E.:
Es existiert, wenn man dort drinnen ist nur noch diese
Welt, man fühlt sich dort am wohlsten, möchte
dort am liebsten sein, man kann sich dort am freisten
fühlen und endlich so sein, wie man will. Ist das
richtig?
Ja, das ist richtig. Es ist eigentlich die Fantasie,
die Vorstellung von den Welten, die einen dort aufbaut.
Es ist genau gleich, wie wenn man ein spannendes Buch
liest - die Aussenwelt ist komplett weg - wie beim Computerspielen.
E.:
Was ist dann aber der Unterschied, man redet ja nicht
von Buchsucht, dass beim Internet viel extremer als
beim Bücher lesen zum Beispiel die Schule über
Monate vernachlässigt und kaum noch geschlafen
wird?
Beim Lesen hat man mehr Kenntnisse und einen grösseren
Wortschatz, beim Computerspielen ist es wie beim Fussball
spielen - je intensiver und länger man spielt,
desto besser wird man. Man macht viel schneller Fortschritte
als im richtigen Leben, in dem es oft sehr lang geht.
In der Computerwelt hat man dies in viel geraffterer
Form.
E.:
Das mit dem Erfolg scheint mir ein Unterschied zu sein.
Aber irgendwann ist man im Spiel am "top level"
angelangt und spätestens dann wäre der Anreiz
ja nicht mehr so gross. Kann es sein, dass der Unterschied
darin besteht, dass im Spiel im Internet tatsächlich
andere Menschen im Gegensatz zu einem Buch vorhanden
sind?
Ja, das stimmt. Zu den Erfolgserlebnissen gehört
auch, die anderen übertrumpfen zu wollen.
E.:
Beim Fussball spielen gehört ja meist auch noch
ein gewisses Talent dazu - beim "Gamen" aber
nicht. Da ist es einfacher - je mehr Zeit man investiert,
desto besser wird man. Kann es sein, dass das "Gamen"
für Menschen besonders attraktiv ist, die im richtigen
Leben keine oder nur wenige Erfolgserlebnisse haben?
Ja, auf jeden Fall. Es ist eine Flucht. Kollegen, die
zum Beispiel überhaupt nicht sportlich sind, nicht
gut aussehen und kaum Freunde haben, die sind total
auf die "Games" fixiert. Die investieren ihre
ganze Zeit beim Spielen, um Erfolgserlebnisse zu haben.
Die machen sogar ihren Laptop zum "Gamen"
an, wenn die Pause nur fünf Minuten dauert. Die
machen nicht den Versuch, im richtigen Leben Kontakt
aufzunehmen. Die gehen zum Beispiel nicht mit Kollegen
ins Freibad oder Fussball spielen. Die haben Angst davor
und flüchten sich wegen der Angst in die "Games".
E.:
Und die Angst ist die Erfahrung es nicht zu können
und der Teufelskreislauf - je länger sie es nicht
im realen Leben versuchen, desto schwieriger wird es,
in das Freibad, etc. zu gehen.
Ja, das bestimmt.
E.:
Wenn die Kollegen in den Pausen spielen, spielen diese"
wireless", das heisst übers Netz?
Nein, das sind andere Spiele zum Überbrücken,
bis sie zu Hause wieder online spielen können.
E.:
Aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis dass diese
Kollegen immer und überall "wireless"
online spielen können und wollen?
Nein, ich denke, dass man es eher daheim macht. Man
braucht die ganze Aufmerksamkeit fürs Spiel und
isoliert sich deshalb zu Hause. Deshalb wird, glaube
ich, nicht auf der Strasse "gegamet", sondern
im geschlossenen Raum.
E.:
Ist es eher die Art von Tätigkeit, bei der es gar
keinen Sinn macht rauszugehen?
Es ist keine soziale Sache - es hat überhaupt nicht
mit sozialen Kontakten zu tun. Wenn man keine Kollegen
hat oder will, geht man auch nicht raus. Man hat dann
höchstens Kollegen im "Game". Letztens
hat mir einer von seinen Kollegen erzählt, die
er beim "Gamen" kennen gelernt hat. Er spricht
dabei von seinen besten Kollegen, obwohl er noch nie
einen von diesen gesehen hat. Das zeigt, dass etwas
falsch läuft. Der geht nie raus, der ist nur bei
sich daheim - ist wirklich ein totales "Kellerkind".
Das ist extrem.
E.:
Ja das ist extrem und gleichzeitig stimmt es für
ihn, dass es seine besten Kollegen sind - er hat ja
sonst keine.
B.:
Heutzutage haben fast alle Schulen Internetzugang. Werdet
ihr auch bezüglich der Gefahren des Internets instruiert?
Nein, höchstens über technische Dinge, was
man mit dem Internet machen kann und so. Aber dass Jugendliche
total gefangen werden können und verwahrlosen,
darüber wird nichts erzählt.
E.:
Aus deiner Sicht verwahrlosen die Jugendlichen?
Ja, sogar total.
E.:
Inwiefern Verwahrlosung? Wie würdest du diese beschreiben?
Sie legen überhaupt keinen Wert mehr auf soziale
Kontakte im realen Leben, sie sind nicht fähig
eine normale Konversation zu führen, sie reden
nur noch über den Computer, wie sich dort die Figuren
und so bewegen. Der Computer - das Internet ist indirekt
ihr Kommunikationsmittel. Im Internet kann man einfach
angeben wie man in Wirklichkeit gar nicht ist. Man sagt,
ich sehe so und so aus, man kann sich eine komplett
neue Persönlichkeit zulegen.
E.:
Machen dies deine Kollegen?
Niemand gibt es richtig zu, aber ich weiss, dass sie
das sicher so machen, die Schwächen können
sie so einfach weglassen.
E.:
Es hilft sozusagen die eigenen Schwächen und die
Begrenztheit abzulegen und im Internet jemand anderes
zu sein und dies zu geniessen und sich toll zu fühlen?
Ja genau, man muss nur genug Fantasie haben und daran
glauben. Ich verstehe das auch- wenn man im wirklichen
Leben keine Freunde und nichts hat und im Internet der
Held sein kann, dann ist das toll.
E.:
Du hast ja offensichtlich da hineingesehen und es ist
dir eine Zeitlang selbst so gegangen. Was ist es bei
dir gewesen, dass veranlasst hat es zu verändern?
Was ist deiner Meinung nach wichtig oder überhaupt
eine Chance da heraus zu kommen?
Ich bin von Anfang an immer noch in den Ausgang gegangen.
Ich habe meine sozialen Kontakte nie völlig aufgegeben.
E.:
Du hattest die Kompetenz deine sozialen Kontakte stark
zu reduzieren aber nicht völlig aufzugeben?
Ja und irgendwann bin ich wohl erwachsener geworden
und das "Gamen" ist total kindisch. Man legt
jede Selbstverantwortung ab und wird vom Computer bestimmt.
Das zeugt doch von Unreife. Sobald man wirklich darüber
nachdenkt, wird es einem auch auffallen. Ich habe gemerkt,
dass dies wirklich schlecht ist und einen zerstört.
Irgendwann habe ich gefunden, dass es mir viel zu blöd
ist - ich könnte mit der Zeit soviel Gescheiteres
machen.
E.:
Das heisst, du hast irgendwann deine Situation erkannt
und wirklich davon Distanz nehmen können, dich
selber anschauen und sagen: "Wenn das so weiter
geht, sehe ich keine Zukunftsperspektive für mich.
Ich möchte etwas anderes." Hat die Therapie
etwas dazu beigetragen - die Sitzungen alleine und die
mit deiner Mutter zusammen?
Es ist wie begleitend gewesen. Darüber zu reden
hat beim Abkoppelungsprozess vom Computer geholfen.
E.:
Du bist zu dem Zeitpunkt reif gewesen, um hierher zu
kommen. Die Sitzungen haben geholfen den Weg zu begleiten
und in der Beziehung zwischen dir und deiner Mutter
Klärung zu schaffen, die Beziehung zu stärken
und die reale Auseinandersetzung zwischen dir und deiner
Mutter wieder konstruktiv werden zu lassen. Vorher war
es wie blockiert gewesen. Du hast lieber "gegamet",
anstatt die Auseinandersetzung zu führen.
Ja, beim "Gamen" ist man konfliktscheu. Wenn
ich keine Lust auf Konfrontation habe, kann ich dort
dem konkret aus dem Weg gehen - man kann spielen - beim
Spielen muss man nicht gross Emotionen reinbringen -
man muss einfach spielen.
E.:
Wenn man in so einer Situation nicht konfliktfähig
ist, dann ist es ja auch nicht lässig zu einer
Beratungsstelle zu gehen. Wie war das für dich?
Ich bin in erster Linie meiner Mutter zu liebe gekommen
und es war dann aber o.k. für mich. Ich habe es
nicht als Zwang empfunden.
E.:
Es ist interessant. Nach meinen Erfahrungen, kommen
die Jugendlichen nur auf Druck von aussen und finden
es dann aber meist kein Problem, hierher zu kommen.
B.:
Hast du Strategien wie du heute mit dem Computer/Internet
im alltäglichen Leben umgehst, damit du nicht Gefahr
läufst, wieder in den exzessiven Ge-brauch zu rutschen?
Ich mache wieder mehr mit Kollegen ab und gehe realen
Beschäftigungen nach. So bleibe ich nicht mehr
vor dem PC hocken.
E.:
Wie läuft es denn jetzt noch mit dem "Gamen"?
Ich "game" eigentlich gar nicht mehr. Das
einzige was ich noch mache, ist eine Maschine für
ein bestimmtes Spiel zu programmieren. Dieses Spiel
kenne ich in- und auswendig. Die Maschine ist von mir
so programmiert, dass sie auf immer höhere Level
spielt, derweil ich gar nicht im Haus bin. Später
kann ich dann diese Levels im Ebay verkaufen.
E.:
Wie funktioniert das?
Das ist zum Beispiel beim Spiel "Diabolo 2",
einem kennwortgeschützten Spiel. Die "Gamer"
benötigen ein Kennwort zum Einloggen und dann mitspielen
zu können. Im Ebay verkaufe ich mein Kennwort mit
dem entsprechend erreichten Level, mit den dazu gehörigen
Figuren und ihren Charakteren.
E.:
Wer hat Interesse daran?
"Gamer", die nie alleine so ein hohes Level,
so eine Figur erreichen würden.
B.:
Z. Zt. besuchst du eine Informatikschule. Ist dies kein
Konflikt für dich?
Nein, überhaupt nicht. Für mich ist es eher
langweilig, da ich das meiste schon kenne. Ich möchte
später auch nichts mit Informatik machen. Es reizt
mich nicht mehr. Es gibt da keine Fächer, die zum
selbständigen Nachdenken anregen. Es kommt mir
eher vor wie der geistige Verfall.
E.:
Was möchtest du denn mal machen?
Vielleicht Deutschlehrer.
E.:
Kann man sagen, dass du durch die Erfahrung, die du
schon in deinem Leben mit dem PC gemacht hast, die Erkenntnis
gewonnen hast, in Zukunft dein Leben anders zu gestalten?
Ja, den PC finde ich jetzt eher langweilig. Mich interessieren
andere Dinge.
Bericht
der chatsüchtigen Manuela
Datum:
März 2006
Forumsbeitrag an: www.onlinesucht.de/bekenner30.html
Ich
kann das Chatten nicht lassen
Ich habe ein Problem. Ich weiss nicht mehr weiter. Ich
habe bemerkt, dass ich mittlerweile chatsüchtig
bzw. onlinesüchtig bin. Mir war das schon seit
langem klar, aber ich wollte es nie wahrnehmen. Jetzt
ist es mir klar geworden, wie sehr ich schon drin hänge.
Ich
hatte das vor ein paar Jahren schon einmal. Eine Freundin
sagte zu mir, hey du da gibt's voll den coolen chat,
da müssen wir nicht mehr soviel mails schreiben,
sondern können chatten! Schau doch mal vorbei.
Und ich hab vorbei geschaut, aber nicht nur einmal.
So ging das los, mindestens ein halbes Jahr. Doch dann
bekam meine Freundin ein Virus auf den PC und meinte,
es kommt von dem chat. Klar, ich kannte da noch jede
Menge anderer Leute, aber ich hab dann beschlossen aufzu-hören.
So hab ich es gelassen.
Dann,
so ca. zwei Jahre danach, zeigte mir eine andere Freundin
ein chat. Ich fand den supertoll und meldete mich auch
an. Ich habe da viele Klassenkameraden oder welche aus
der Parallelklasse im chat getroffen, mit denen ich
sonst nicht so oft rede, und wir verstanden uns im chat
super. Es war toll! Wir waren die besten Freunde, nur
in der Schule kannten wir uns nicht. Wir behandelten
uns wie Luft, obwohl wir so viel voneinander wussten,
so verdammt viel, aber nur im chat. Und real trauten
wir uns nicht einmal, hi zu sagen. Es war schlimm. So
ging das echt mit allen. Mich hat es anfangs nicht gestört,
und ich hab mich immer weiter von der Aussenwelt abge-schnitten.
Ich habe es meinen Eltern verheimlicht, war heimlich
am PC, nur um chatten zu können. Ich hatte auch
eine online Beziehung usw., doch dann kam der Absturz.
Meine beste Freundin, die nicht chattete als einzige
fast, sagte zu mir, dass sie chatten doof fände
und alle sich nur noch wie Roboter benehmen würden,
und das dies eine Sucht sei. Ich hab ihr nicht geglaubt.
Im tiefsten Inneren wusste ich aber, dass sie Recht
hat. Doch glauben wollte ich es nicht. Ich habe beschlossen
aufzu-hören, doch ich schaffte es nicht. Ich hatte
so viele Freunde und die einfach auf-zugeben? Niemals!
Das war das Komische, wir sahen uns jeden Tag in der
Schule, doch wusste ich, dass wenn ich aufhören
würde, ich nie wieder mit ihnen sprechen würde.
Ich wollte es reduzieren, aber nicht einmal das schaffte
ich. Ich weiss nicht warum, aber ich schaffte es nicht.
Aber ich fing an, den Leuten aus dem chat "Hi"
zu sagen und mit ihnen zu reden. Und es klappte schon
besser. Trotzdem sass ich immer noch stundenlang am
PC bis in die Nacht hinein von morgens an. Auch die
Kindersicherung meiner Eltern half nichts, denn ich
ging einfach unter einem anderen Benutzernamen rein.
Ich
fing wieder an, häufiger zu chatten. Ich wollte
es nicht, aber ich konnte es nicht lassen. Ich weiss
nicht warum und wieso. Aber ich versteh es nicht, wie
soll ich davon loskommen, wenn nicht einmal Kindersicherungen
helfen? Ich weiss nicht mehr weiter. Ich bin echt am
Ende. Aber aufgeben? Nein - das tu ich nicht! Ich bleibe
stark und versuche es zu bekämpfen, aber wie? Und
werde ich stark genug sein, es ein zweites Mal zu versuchen?
Bitte
kann mir einer helfen? Sonst versuch ich es allein -
ich muss es schaffen. Ich habe sogar gesundheitliche
Schäden ertragen, nur vom stundenlangen Sitzen
vor dem PC. Zum Beispiel Rückenschmerzen, steifes
Genick usw.
Bitte
helft mir!
Manuela
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